Wallersee 24. Oktober 2012

 

Jetzt hatte ich also den Attersee äußerst erfolgreich hinter mich gebracht, trotzdem war das Jahr, zumindest das Laufjahr, schon wieder fast vorbei und ich hatte nur zwei Seen erlegt. Eine richtige Freude wollte sich daher nicht einstellen. Da kam gerade recht, dass ich noch eine Dienstreise nach Salzburg zu absolvieren hatte. Also begann ich gleich wieder zu planen. Einen Familienurlaub anzuhängen war trotz nahendem langen Wochenende aufgrund anderer terminlicher Verpflichtungen nicht schon wieder drin. Also musste ich allein fahren.

 

Die größten Lücken in meiner Seenkarte hatte ich noch in Tirol. Um aber ins Außerfern zu kommen müsste ich sinnvoll mit dem Auto fahren, sonst würde ich zu viel Zeit verlieren. Mit dem Auto würde aber der Vorteil der Kombination mit einer Dienstreise wieder wegfallen, denn die 1.200  km müsste ich mir dann selber zahlen, das war mir dann doch zu viel, neben einem Tag Zeitausgleich und einer Extraübernachtung. Also blieb nur noch der Wallersee, der auf der Strecke lag und auch problemlos mit dem Zug erreichbar war. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, einmal beim Halbmarathon Rund um den Wallersee mitzulaufen, aber darauf musste ich jetzt verzichten.

 

Die Entscheidung fiel recht spontan. Am Vorabend suchte ich noch eine geeignete Strecke. Anders als am Attersee, wo ein Verirren kaum möglich war, hatte ich hier ständig in kleinere Wegerl abzubiegen. Ich wollte daher einmal probieren, mich mit dem Handy navigieren zu lassen. Leider wusste ich nicht mehr genau, wie dies ging, aber zumindest schaffte ich es irgendwann, eine markierte Route auf das Handy zu laden.

 

Den Wallersee im Zuge einer Dienstreise zu umrunden hatte auch eine gewisse Logik. Bei meinen früheren recht häufigen Terminen im Westen hatte ich immer, egal ob ich noch was vorbereiten musste oder sonst was las, am Wallersee innegehalten und ganz sehnsüchtig (wohl eher Seen süchtig) aus dem Zugfenster geschaut, ohne zu wissen, dass ich da mal herumlaufen würde. So hatte ich den See schon zu allen Jahreszeiten und Wetterlagen erlebt.

 

Die Sitzung war zum Glück recht früh aus. Ich fuhr mit dem Zug von Salzburg wieder zurück nach Seekirchen am Wallersee und suchte mein Hotel. Die Hoffnung, dass der Hochnebel irgendwann aufreißen würde, erfüllte sich leider nicht. Um 15 Uhr konnte ich zwar schon weglaufen, aber da war es trotzdem fast düster.

 

Ich hatte mir keine besonderen sportlichen Leistungen vorgenommen, ich wollte einfach nur den Lauf genießen. Am Attersee vor gut zwei Wochen hatte ich mich ohnedies genug angestrengt. Zuerst ging es auf der Straße Richtung Henndorf am Wallersee. Auf der Straße zu laufen war ich ja jetzt schon gewohnt, allerdings war hier viel weniger Verkehr als am Attersee. Da ich am Vortag unnötiger Weise noch einen Tempolauf gemacht hatte, waren meine Beine aber trotz gemütlichen Tempos nicht besonders locker.

 

Der See war noch nicht zu sehen. Immer wieder gingen links Wege weg, ich dachte mir bei jedem, den musst du nehmen um näher an den See zu kommen. Aber ein Blick auf das Handy zeigte mir immer sofort, dass ich noch auf der blauen Linie war. Das war sehr komfortabel. Auf die zur Sicherheit mitgenommene Papierkarte schaute ich die ganze Runde lang nicht.

 

Nach ca.3 km konnte ich von der Straße runter. Hier fand ich das erste Mal ein Schild, das einen Wallersee-Rundweg für Radfahrer und Wanderer anzeigte. Wenn der Weg für Radfahrer und Wanderer geeignet war, konnte er auch nicht allzu schwer zu laufen sein. Zuerst lief ich durch ein Waldstück, dann zweigte ein schmaler Pfad ab und ich war auf einmal direkt am See. Das waren meine Lieblingsseenstrecken: direkt am Ufer auf naturnahen Wegen. Die schöne Herbstfärbung verstärkte den Eindruck noch. Rechts standen nette Häuser, alle mit Bootsgaragen und „Gleisanschluss“ um mit Rollschemeln die Boote ins Wasser lassen zu können. Ich genoss das jetzt sehr. Immer wieder blieb ich stehen, um Fotos zu machen.

 

Wallersee

Nach ca. 1,5 km kam ich zum Strandbad Henndorf und musste wieder zurück auf die Straße. Dazu gab es eine kurze kräftige Steigung. Da ich gerade wieder mein Handy in der Hand hatte, könnte ich gleich eine Gehpause einlegen und dabei meine Utensilien verstauen. Aber ich wollte diesmal alles laufen, so anstrengend sollte die Runde auch wieder nicht werden. Danach ging es kurz wellig weiter, dann folgte eine schon längere Steigung hinauf nach Enzing. Auch die lief ich brav.

 

Der Sinn dieser Steigung war nur, dass es kurz darauf wieder hinunter ging. Auf einem Schild wurden die Radfahrer vor der Abfahrt gewarnt. Es war aber auch wirklich sehr steil durch den Wald bergab, familientaugliche Radroute war das jedenfalls keine. Danach konnte ich wieder schön am Seeufer weiterlaufen. An der Wallersee Ostbucht lief ich erneut um ein Strandbad herum.

 

Am Nordufer ging es wieder zurück. Ich fand wieder ein seenahes Wegerl abseits der Radroute. Nun öffnete sich das Panorama. Obwohl der Wallersee nicht so arg groß ist, vermittelte hier der ruhige See im Grau des Hochnebels eine irrsinnige Weite. Das Laufen hatte nun fast etwas Meditatives. Mir kamen die Fernsehbilder des vor kurzem erfolgten Sprungs Felix Baumgartners aus der Stratosphäre in den Sinn. Die hatten mich total in ihren Bann gezogen. Ich weiß schon, dass das Laufen, vor allem so wie ich es betreibe, kein Extremsport ist und ich will das auch gar nicht vergleichen. Aber die Bilder waren so eindrücklich. Felix purzelte wie ein Stern auf die Erde herab. Mit den Infrarotkameras leuchtete sein Raumanzug richtig vor dem dunklen Hintergrund des Weltalls. Ich hatte den Wunsch, das auch zu erleben, oder noch schlimmer, das Gefühl, das schon erlebt zu haben. Einzige Erklärung dafür könnte die Sonnenfinsternis 1999 gewesen sein. Dieses Ereignis war mir auch vorher völlig egal, je näher es kam, desto mehr begann es mich zu interessieren und dann war ich von der plötzlichen Stille und dem magischen Licht überwältigt.

 

Wallersee

Felix Baumgartner hat aber auch einen Wallersee-Bezug. Er wuchs nur 15 km entfernt in Hernau, im Süden Salzburgs, auf. In jungen Jahren, als er noch Fallschirmspringen lernte, wohnte er einmal im Elternhaus einer Jugend­freundin aus Henndorf am Wallersee. Aber ich schweife ab. Hier am See standen wieder sehr schöne Häuschen. Nach dem letzten Haus kam das Naturschutzgebiet Wenger Moor. Es ging wieder weg vom See. Ich musste eine schmale Treppe hinauf und über einen steilen Trampelpfad. Aber auch das wollte ich laufen. Oben hatte ich wieder einen schönen Weg. Am Vortag auf der Karte sah ich noch ein Zickzack, von dem ich annahm, dass er irgendwie durch eine Wohnsiedlung führen müsste. In Wirklichkeit konnte ich hier aber in weiten Bögen durch unberührte Landschaft laufen. Einmal war eine Aussichtsplattform für das Hochmoor angeschrieben. Die wollte ich auch noch mitnehmen und legte wieder eine Pause ein, dafür musste auch noch Zeit sein. Dann lief ich durch ein dichtes Fichtendickicht. Viel später hätte ich nicht weglaufen dürfen, sonst hätte ich in der Finsternis hier nicht mehr rausgefunden.

 

Nun kam ich an die Bahn, die ich schon einige Zeit lang gehört hatte und damit an die Strecke, die ich vom Zug aus schon so oft gesehen hatte. Mir fielen Bodenmarkierungen auf, die noch vom Wallerseelauf stammten. Ich merkte, dass der Lauf eigentlich in der anderen Richtung um den See führte. Die steile Abfahrt Enzing musste also hinaufgelaufen werden, vielleicht dachten die Organisatoren, dass ein Bergabsprinten zu gefährlich wäre. Zu Hause verglich ich nochmal meine Laufroute mit dem offiziellen Halbmarathon. Vieles war ident, an ein paar Stellen hatte ich aber sicher eine schönere Route erwischt. Auch ein Grund nicht auf den nächsten Bewerb gewartet zu haben.

 

Ich war nun schon ein bisschen müde, wollte aber nicht nachlassen. Im Gegenteil, ich wollte jetzt schneller werden, genauso wie ich es einmal in einer Erzählung eines hoffnungsvollen Jungautors gelesen hatte, die mich in jungen Jahren literarisch prägte. Bei Erschöpfung das Tempo nicht verringern, sondern erhöhen. Konsequent durchgeführt endet dies natürlich im Kollaps. Ich hoffte jedoch, vorher wieder in Seekirchen zu sein.

 

Läuferin vom Wallersee

Ich hatte ein Angstgel mitgenommen. Ich dachte mir, es hat wenig Sinn dies um den See zu tragen ohne es zu verwenden und zuzelte es nun aus. Meine Finger waren schon etwas klamm geworden, sodass ich es fast nicht aufreißen konnte. Am Ortsanfang von Seekirchen, da wo es zum Seebad geht, sah ich eine moderne, aus Röhren zusammengeschweißte Plastik. Sie trug den Titel: „Die Läuferin vom Wallersee“. Ich fühlte mich verstanden. Die letzten Kilometer durch den Ort waren dann auch problemlos.

 

Trotz meiner Endbeschleunigung war mein Lauf nicht besonders schnell. Entweder hatte ich anfangs doch ein bisschen viel verplempert, die Streckenführung war zu anspruchsvoll, oder ich wurde einfach nur alt. Nach einer kurzen Regeneration im Hotel (mehr Tröpferlbad als Wellness) fuhr ich abends nochmal zurück nach Salzburg, um meinem zweiten Hobby zu frönen.