Wolfgangsee 15. Oktober 2006

 

Angefangen hat das Ganze vor einem Jahr. Meine Mutter urlaubte in St. Wolfgang und ich hatte die Freude, sie von dort abzuholen und nach Hause zu führen. Das bedeutete sieben Stunden Auto fahren und einen verbrauchten Tag. Als ich in St. Wolfgang ankam hingen überall Transparente für den Wolfgangseelauf, der eine Woche später stattfinden sollte. Damit war klar, wenn ich wieder einmal Taxi spielen muss, dann muss meine Mutter den Urlaub so legen, dass ich da mitlaufen kann. Ich musste wieder Taxi spielen.

 

So war mein erstes Auswärtsrennen festgelegt. Leider hatte ich ganz übersehen, dass man bei der Seerunde von 27 km auch über den Falkenstein (250 Höhenmeter) muss. Um das zu üben war ich in den letzten Wochen davor auch noch ein bisschen zum Bergläufer geworden. Nachdem ich mir eine Woche vor dem Rennen beim Marchfeldkanallauf (5 km) den Wunsch erfüllt hatte, einmal bei der Geschwindigkeit einen 14er in einer Ergebnisliste zu haben, hatte ich mir diesmal nicht viel vorgenommen, ich wollte nur Landschaft und Herbstwetter genießen. Außerdem konnte ich den Falkenstein nicht wirklich einstufen. Meine Laufplanung war daher eher 3 km einlaufen, dann 3 km Wandertag über den Berg und dann einen gemütlichen Halbmarathon. (Natürlich hatte ich mir schon Zeiten überlegt, 3 h sollte jedenfalls gehen, 2:45 wenn alles gut geht, 2:30 wären optimal aber unrealistisch, zumal ich mit zwei bis drei Läufen pro Woche zuletzt nicht wirklich brav trainiert hatte.)

 

Wir reisten am Samstag an, Conny und Paula kamen mit, sie wollten am Frauenlauf über 5,2 km teilnehmen. Schon bei der Einfahrt nach St. Wolfgang sahen wir die Läufer des Staffelprologes (27 mal 1 km). Es waren zwar nur wenige Läufer, aber trotzdem liefen da auch Kinder auf einer nicht abgesperrten engen Straße im Gegenverkehr, was ich fast ein wenig kriminell fand. Nach der Startnummernabholung besichtigten wir den Anfang des Falkensteins. Nachdem ich jetzt schon Berge kenne, konnte mich das auch nicht mehr schrecken. Dann sahen wir noch Dagmar Rabensteiner, die offensichtlich für ein Laufseminar gebucht war, beim Einlaufen mit ihrer Gruppe. Weiters hörte ich, dass Michael Buchleitner den Pacemaker für sub 2 macht. Schön langsam stieg die Freude, wieder einmal bei einem richtig großen Laufevent dabei zu sein. Später traf ich noch Christian, einen Laufkollegen aus einem Laufforum. Sein Tipp: Ja nicht versuchen den Falkenstein rauf zu laufen, dass kostet nur unnötig Kraft.

 

Zum Abendessen ging es zu meiner Mutter, die uns einlud, ins Weiße Rössel. Seit 1999 kann man ja im Weißen Rössel ganzjährig im Wolfgangsee baden. Damals hieß es, dass ein Teil des Sees auf 30 °C geheizt wird und man befürchtete schon gröbere Umweltkatastrophen. Aber eigentlich ist es nur ein schwimmendes Schwimmbecken, das mit einer Wärmepumpe, also sehr umweltfreundlich, beheizt wird und sonst gar keine Auswirkung auf den See hat. Christoph Schlingensief wollte auch einmal im Wolfgangsee baden. 1998 lud er alle deutschen Arbeitslosen ein, aus Protest gleichzeitig im Wolfgangsee zu baden, um so das Feriendomizil des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl zu überfluten. Aber ich schweife ab.

 

Wolfgangsee

Nach dem Abendessen gingen wir noch zum Läufercocktail. Der war aber um die Zeit schon fast vorbei, man händigte uns gerade noch je ein kleines Flascherl Stiegl aus. Unsere Tochter Paula urgierte schon ihr Bett, sie wollte für den nächsten Tag fit sein, auch sie kannte offensichtlich schon das Gefühl der tänzelnden Pferde vor dem Start. So nahmen wir das Bier mit ins Hotel, stellten die Nachtkastllampe unter den Tisch, um das Zimmer einigermaßen abzudunkeln und tranken am Boden sitzend noch schnell unser Bier.

 

Um halb 8 Uhr lugte ich das erste Mal vorsichtig aus dem Fenster. Nicht einmal der erwartete Nebel war da - strahlend blauer Himmel. Zumindest die Kleiderfrage war damit gelöst. Nicht gelöst war die Frage der Eigenverpflegung. Nachdem sich das beim Vienna City Marathon bewährt hatte, wollte ich wieder Powergel nehmen. Nur hatte ich diesmal kein Betreuungsteam und musste es selber mitnehmen. Von meiner Hüfttasche wollte ich mich nicht beengen lassen, also entschied ich mich dafür, zwei Gelbeutel an die Laufhose zu tackern. Ich kam mir vor, als ob ich eine Blutinfusion mit mir herumschleppen würde. Nachdem man ja bei einem Rennen nichts ausprobieren soll, lief ich einmal den Hotelgang auf und ab, ob das beim Laufen stört.

 

Um drei viertel 10 Uhr brachte ich meine Damen zum Schiffstransfer für den Frauenlaufstart. Da trafen wir noch ein bekanntes Ehepaar aus Wien. Auch hier wieder die Warnung den Falkenstein nicht zu laufen. Er erzählte mir auch eine Begebenheit aus seinem Hotel. Beim Frühstück trafen sich am Nebentisch ein paar Läufer. Die Frage fiel: „Laufst du auch Marathon?“ „Ja.“ Sie begannen ein paar Tipps auszutauschen, bis dem einen aufgrund der Ratschläge des anderen etwas komisch vorkam. „Sag einmal, wie schnell laufst du denn eigentlich?“ „2:13.“ Schweigen, dann: „Wie heißt denn du?“ „Max Wenisch.“

 

Dann ging ich zum Startbereich, WC aufsuchen (eines der wenigen Male, wo die Schlange vor dem Herrn-WC länger war), Kleidersack abgeben und in den Startblock 2 stellen. Es herrschte prächtige Stimmung, der Start für den Block 1 wurde runter gezählt und 3 min später waren auch wir an der Reihe. Es ging zügig aus St. Wolfgang hinaus. Nach 2,5 km konnte man den Läuferwurm sehen, der sich den Falkenstein hinaufschlängelte. Noch bevor ich überhaupt zum Berg kam, hörte ich einen Böller-Schuss, das Zeichen, dass der Führende am Gipfel angekommen war. Ich glaube, das soll weniger eine Begrüßung des Führenden, als vielmehr eine Demoralisierung der anderen Läufer sein.

 

Am Beginn der Steigung stieg ich sofort auf Gehen um. Ich hatte zwar noch das Gefühl laufen zu können, doch merkte ich, dass ich so genauso schnell war, wie die Läufer um mich herum. Weiter oben überholte ich sogar gehend Läufer, die schon gefährlich röchelten. An ein wirklich schnelles Vorwärtskommen war aber sowieso nicht zu denken, dazu war das Feld am schmalen Wanderweg viel zu dicht. So schonte ich meine Kräfte und genoss die schöne Aussicht. Oben zog sich das Feld sehr schnell auseinander. Der Abstieg war noch viel steiler als der Aufstieg. Obwohl ich versuchte, mich einzubremsen, weil das bergab Rennen ja auch sehr Kräfte zehrend sein kann, zischte ich jetzt vielen vor, weil es so Spaß machte.

 

In St. Gilgen angekommen fühlte ich mich noch richtig frisch und war gerade mal 41,5 min unterwegs. Mit meiner personal best im Halbmarathon würde sich jetzt sogar sub 2:30 ausgehen, aber eine personal best war wohl bei diesen Bedingungen nicht zu erwarten. Ich war aber bestens aufgelegt und lies es nun richtig laufen. Stellenweise kam ich an 5:00 min/km heran, was für mich sehr schnell ist und überholte ständig Läufer, die immer überrascht aufsahen. Publikum war nicht besonders zahlreich, aber zumeist sehr freundlich vertreten. Anfeuerungen nahm ich dankbar entgegen. Kinder hielten die Hände zum Abklatschen hin, manchmal hörte ich dann ein „Wäh!“, naja, geschwitzt hab ich halt schon. Einmal feuerte wer mit einer Kuhglocke an. Als ich aufschaute merkte ich, dass es doch nur eine Kuh war. Nach 10 km war ich fast traurig, dass schon ein Drittel dieses schönen Laufes vorbei war.

 

Zwischen St. Gilgen und Reith gab es auf fast 7 km keine Labestelle, da hatte ich schon ganz schön Durst. Obwohl ich mir bei der Verpflegung Zeit nahm und gar nicht versuchte im Laufen zu trinken, gingen nicht mehr als zwei, drei Becher runter, alles andere schwabbelte nur im Magen. In Reith wurden wir einmal, für mich nicht verständlich, von einem nicht befahrenen Feldweg auf einen danebenliegenden einspurigen Fußweg geleitet. Ich war immer noch am Überholen und musste nun über die sumpfige Wiese vorstapfen. Eine Brücke über einen Bach wurde durch die rhythmischen Läuferbeine ganz schön in Schwingung versetzt und war kaum mehr zu belaufen. Wenig später kam mir ein Läufer mit einer Propellerkappe entgegen. Als mir derselbe Läufer noch ein paar Mal entgegen kam, begann ich an meinem Verstand zu zweifeln.

 

Ab km 20 wurde ich dann doch ein bisschen müde und ich hatte zu kämpfen. Jetzt überholte ich nicht nur, sondern wurde auch überholt. Meinen km-Schnitt konnte ich nicht mehr halten und damit war klar, dass sich sub 2:30 nicht ausgehen würde. Noch dazu kamen vor St. Wolfgang noch ein paar Steigungen. Als es dann nur mehr 3 km waren und ich wusste, dass die Kraft reichen würde, gab ich noch mal Gas und konnte den Zielsprint genießen. Der Einlauf in St. Wolfgang ging recht steil bergab, da schauten dann die müdesten Läufer noch mal schnell aus. Frau und Kind waren brav gelaufen und schon geduscht im Zielbereich und feuerten mich an. Ich wunderte mich noch, warum 200 m vor dem Ziel eine Zwischenzeitmatte lag, bis ich den Platzsprecher hörte, der die ankommenden Läufer namentlich begrüßte. Ein tolles Gefühl, ein nettes Feature der Fa. Pentek. Die Endzeit war dann 2:33:26 und damit nahe am unrealistischen Optimum. Ich war damit ziemlich genau im Mittelfeld und sehr zufrieden.

 

Die Zielverpflegung war auch toll. Erstmals lief ich „Für das Bier im Ziel“. Allzu sehr konnte ich es aber nicht genießen, erstens musste ich ja noch Auto fahren und zweitens muss ich ungern zugeben, dass mir in dieser Situation die Suppe fast besser schmeckte. Ich holte meinen Kleidersack und ging ins Hotel. Wir hatten so eine Art Designerhotel, wo die Badewanne mitten im Raum stand. Nichts gegen Gemeinschaftsduschen im Zielgelände, aber in der Badewanne zu liegen und auf den See zu schauen hat schon was. Dass ich dabei noch die Namen derer hörte, die jetzt erst ins Ziel kamen, erhöhte meine Zufriedenheit noch mehr (da dieser Satz politisch nicht korrekt ist, wäre er wieder zu streichen).

Wolfgangseelauf