Forget your monitors

Graz Marathon 12. Oktober 2008

 

Das Frühjahr hatte ich läuferisch ziemlich versumpert, es gab immer irgendeinen Grund nicht zu laufen und ich konnte mich nicht zu einem richtigen Marathontraining aufraffen. Ende des Sommers wurde ich dann etwas unruhig, wenn ich heuer keinen Marathon mehr laufe, dann wird die Überwindung für den nächsten immer größer und schwups bin ich kein Marathonläufer mehr. So suderte ich im Büro herum bis meine Chefin sagte: „Männer in der Midlifecrises sollen was G’scheites machen, sonst kommen sie auf dumme Gedanken. Du läufst Marathon!“ Und mein Kollege, ein Grazer, assistierte: „Du läufst in Graz!“ Jetzt konnte ich nicht mehr zurück.

 

Die Vorbereitung (Training will ich jetzt gar nicht sagen) musste ich etwas zusammenstauchen, damit sich der Termin noch ausging, aber immerhin schaffte ich noch sechs Longjogs. Davon ging einer kräftig in die Hose, den hätte ich nach 25 km abgebrochen, wenn ich dann nicht nach Hause gehen hätte müssen. Und zwei waren wunderschöne Seeumrundungen (Bodensee, Mondsee).

 

Nachdem die Kinder den Schwiegereltern aufgehalst waren, fahre ich am Samstag mit Conny im Zug nach Graz. Im Abteil sind drei junge Leute und fragen uns: „Laufen Sie auch Marathon?“ Wir werden alt. Einer der Jungen läuft seinen ersten Halbmarathon und ist etwas aufgeregt, er ist noch nie weiter als 10 km gelaufen. Mutig.

 

Fahre nach Graz und gehe in der Annenstraße spazieren (© DKT)! Wir wollen es wörtlich nehmen und beschließen zu Fuß zum Hotel zu gehen. Auf einem Flohmarkt finde ich eine alte Stiegl-Bierflasche für meine Sammlung, das Wochenende ist schon mal gerettet. Im Hotel Weitzer hatten wir in einem Buchungsportal ein relativ günstiges Zimmer gefunden. Wir handeln uns aus, das Zimmer erst später räumen zu müssen, um nach den Lauf noch duschen zu können. Das macht den Marathontag wesentlich stressfreier.

 

Nächster Weg, wieder zu Fuß, ist zur Startnummernausgabe im Citypark, wo ich hoffe, einige aus dem Forum www.run42195.at zu treffen. Eva-Maria Gradwohl, die sich vor kurzem dort auch registriert hatte, ist gerade bei einer Autogrammstunde. Normalerweise wäre ich da jetzt nicht hingegangen, aber dann denke ich mir, jeden anderen Forianer hätte ich auch angesprochen, warum also nicht Eva-Maria. Es wird ein sehr nettes Gespräch und ich erhalte den Rat, nicht mehr so viel zu Fuß zu gehen.

 

Graz Marathon 2008

Im Selbstbedienungs­restaurant löse ich dann den Pastagutschein ein. Am Tisch sind wieder einige Läufer. Eine Frau erzählt mir, dass sie nur den 10‑km‑Lauf läuft, weil sie nächste Woche in Toronto den Marathon laufen will. Ihr Sohn lebt jetzt dort. Ich zeige Interesse, weil ich auch eine Tante in Toronto habe. Sie sagt mir, sie könnte mir ja berichten. Ich denke mir schon, das wäre so eine „man sieht sich“ Floskel, aber schon fragt sie mich nach meiner e-mail Adresse.

 

Dann gehen wir nochmals zurück zur Startnummernausgabe und treffen Walter und Gerd aus dem Forum. Es wird kurz geplauscht und die weiteren Treffpunkte ausgemacht. Der nächste Tagesordnungspunkt ist die Abgabe der Eigenverpflegung. Dazu treffen Conny und ich meinen Grazer Kollegen im Cafe Erzherzog Johann, von Grazern liebevoll „Erzi“ genannt. Auf dem Grazplan werden minutiös alle Übergabestellen, die richtigen Flaschen und die dazugehörigen Power-Gels vermerkt.

 

Weiter geht es zum Läufergottesdienst in die Stadtpfarrkirche. Walter stößt zu uns. Die Messe wird vom Sportbischof (was es nicht alles gibt) Lackner gelesen. Natürlich werden wieder alle möglichen Metaphern des Laufens für den Glaubensweg bemüht. Mir fällt Josef Hader ein: Eicher Leben ist ganz einfach wie eine schlechte Metapher (Topfpflanzen). Aber aus dem Mund eines wirklichen Läufers, Bischof Lackner will den Halbmarathon laufen, klingt das wieder authentisch.

 

Danach gibt es im Hof eine Kaiserschmarrenparty. Wir treffen Dagmar und Andy aus dem Forum. Auch die Toronto-Läuferin von der Pastaauspeisung ist wieder da. Die Band, die in der Messe gespielt hatte, spielt nun coolen Jazz. Ich hole mir drei Portionen. Der Bischof gesellt sich zu uns. Wenn es nicht schön langsam kühl werden würde, wäre es ein echt gemütlicher Abend. Walter begleitet uns noch zum Hotel und wir nehmen noch einen Absacker in der Hotelbar (Pfefferminztee).

 

Glücklicherweise ist das Frühstück nicht im Zimmerpreis inbegriffen. Es hätte zu sehr wehgetan auf üppige Mehlspeisen, Ham and Eggs und anderen Köstlichkeiten am Marathontag verzichten zu müssen. So gehen wir in eine nahe gelegene Bäckerei auf ein kleines Frühstück. Hab ich schon erzählt, dass es mir echt schlecht geht? Wie immer fühle ich mich vor einem Marathon komplett mies und bin mir sicher höchstens einen Kilometer laufen zu können. Da ich das aber schon kenne, mach ich mich über mich selber lustig und warte ab was passiert.

 

Der Start ist zu Fuß leicht zu erreichen. Trotz zahlreicher Läufer treffen wir sofort wieder auf Walter und Gerd. Walter hat ein ehrgeiziges Ziel und will sub 3:30 laufen, Gerd und ich beschließen in Richtung 3:50 zu beginnen. Eigenartig finden wir, dass der Luftballon-Pacer für 3:30 nur sehr knapp vor uns im Startblock steht, der für 3:45 aber ganz vorne, irgendwo bei der Elite. Der Startschuss fällt, wir laufen weg. Meine Ohnmachtsanfälle von vor zwei Stunde sind weg und ich fühle mich pudelwohl. Allein zum Miterleben dieser Gefühlsschwankungen zahlt es sich aus, Marathon zu laufen.

 

Erfreulicherweise gibt es kaum Gedränge. Schon nach einem Kilometer ist die erste Musikstation, ein Elvis rockt gehörig ab. Ich drücke den ersten Kilometer auf meiner Polar ab und stelle fest, dass sie irgendeinen Blödsinn anzeigt. Ein paar Tage vor dem Marathon hatte ich sie beim Service, es wurde die Batterie getauscht und dabei offensichtlich einige Einstellungen zurück gestellt. Ich bin jetzt im Fahrradmodus. Später werde ich sehen, dass ich den Marathon in 0:27:06 gelaufen bin, mit einer Maximalgeschwindigkeit von 85,1 km/h. Forget your monitors. Die Trainingsratschläge der Afrikaner bekommen so eine völlig neue Bedeutung. Jedenfalls hätte ich das vorher noch überprüfen sollen.

 

Graz Marathon 2008

Gerd ist da besser aufgestellt. Mit seiner Polar 800 kann er sich genau an seine Marschtabelle halten. Schon nach 2 km kommt mir das Tempo für heute aber etwas zu langsam vor. Noch nie hab ich es geschafft, ein Rennen mit jemand anderen gemeinsam zu laufen. Ich riskiere etwas schneller zu werden. Gerd verspricht mir, falls es schief gehen würde, mich wieder mitzuschleifen. Das Gefälle vom Hilmteich hinunter zur Mur laufe ich etwas zu verhalten, Gerd holt mich nochmal ein, aber dann sehe ich ihn nicht mehr. Anhand der Uhrzeit schätze ich nun als Rechenaufgabe alle 5 km mein Tempo. Das geht auch.

 

Bei km 6 steht das erste Mal mein Kollege an der Strecke und reicht mir eine Wasserflasche. Bei km 9 treffe ich Conny und bekomm wieder eine Wasserflasche. Jetzt geht es hinunter Richtung Puntigam. Die Stimmung an der Strecke ist recht gut. Bei der ersten Staffelmarathonwechselzone ist besonders viel los. Nicht alle der angekündigten Musikstationen werden live bespielt, bei vielen kommt die Musik vom Band, das ist mir aber wurscht. Ein Leiberl mit der Aufschrift „Lachen ist gesund“ regt uns Läufer zu philosophischen Betrachtungen an.

 

Bei den Puchwerken gibt es eine Schleife durch das Werksgelände, offensichtlich damit die Distanz genau eingehalten werden kann. Das ist recht witzig, man läuft zwischen Materiallagern u. ä. durch. Sonst ist die Strecke landschaftlich ok. Nach der Wende bei der Puntigamer Brücke geht es durch eine Schrebergartensiedlung wieder Richtung Zentrum. Bei einem Wirtshaus werden Äpfel angeboten. Bei der nächsten Labe werden einzelne Läufer, dank Chipsystem, namentlich begrüßt. Nach einer Unterführung geht es durch den Augarten auf Schotter weiter. Nachdem ich ja nicht so schnell bin, ist das aber kein Problem. Ich freue mich auf km 20 wo ich von Conny mein erstes Gel bekommen werde (sie hat dazu von km 9 nur das Murufer wechseln müssen). Nach dieser Übergabe muss sie aber mit der Straßenbahn in den Süden fahren.

 

Danach gibt es bei der Unterführung Hauptbrücke die erste (und einzige) giftige Steigung. Durch die Sackgasse und Herrenstraße geht es leicht bergab. Es herrscht tolle Stimmung und ich freue mich schon auf den Zieleinlauf eine Runde später. Nach der ersten Runde und dem Wegfall der Halbmarathonläufer wird es auf der Strecke etwas ruhiger. Dadurch kann der Elvis mit einem Funkmikrofon jetzt mitten auf der Strecke stehen und einheizen. Genial.

 

Nachdem ich es wieder hinauf zum Hilmteich geschafft habe, lasse ich es diesmal hinunter zur Mur richtig laufen. Ab jetzt merke ich, dass ich schneller bin als die Läufer um mich herum. Später werde ich sehen, dass ich auf der zweiten Hälfte weit mehr als 200 Plätze gutgemacht habe. Wer mich jetzt noch überholt kann nur ein Staffelläufer sein.

 

Kinder bieten privat Traubenzucker an, schade das es dazu noch zu früh ist. Bei km 27 steht wieder mein Kollege und reicht mir Wasser und Gel. Bis km 30 läuft es immer noch locker. Ein gutes Zeichen. Danach muss ich anfangen mich zu motivieren. „33 km bist du im Training gerannt und das war kein Problem.“ „Bei km 35 kommt wieder Conny mit einem Gel.“ „Dann sind es eh nur mehr 7 km.“

 

Beim zweiten Durchlauf der Puch-Schleife laufe ich auf Walter auf. Ich kann ihn ein paar Kilometer mitziehen, dann setzte ich mich nach vorne ab. Jetzt ist es mühsam, aber ich darf nur nicht nachlassen, ich weiß, dass heute nichts mehr passieren wird. Ich fürchte mich nicht vor der giftigen Unterführung sondern freue mich auf die stimmungsvolle Herrengasse. Wo immer ich Leute am Rand sehe, versuche ich sie zum Klatschen zu animieren. Das gibt mir wieder neuen Schwung.

 

Endlich kommt das Ziel näher. Meine Uhrzeithochrechnung ergibt weder personal best noch sub 3:45 aber doch schneller als erwartet. Ich sprinte ins Ziel und bin rund durchgelaufen. 3:45:28. Den sub 3:45 Pacer hab ich aber trotzdem den ganzen Lauf nicht gesehen. Später werde ich feststellen, dass meine beiden Halbmarathons gerade mal um 4 sek differiert haben. Die zweite Marathonhälfte bin ich noch nie so schnell gelaufen, also doch noch ein Rekord.

 

Graz Marathon 2008

Im Zielraum treffe ich wieder Walter. Ich bin ziemlich aufgewühlt und nerve ihn mit der Aussage: “Mir tut jetzt eigentlich nur die Schulter weh.“ Beim Schlürfen der Zielsuppe komme ich noch mit einem blinden Läufer ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er für nächstes Jahr viel vorhat. Er will einen Staffellauf quer durch Österreich organisieren, um Geld für Partnerhunde aufzustellen. Das sind die wahren Helden!

 

Zum Schluss treffen wir nochmals Dagmar, Andy und Gerd. Jetzt will ich zurück ins Hotel und duschen. Statt dem „Bier im Ziel“ gibt es ein „Bier im Zug“ im Ungarischen Speisewagen mit einer ebensolchen Gulaschsuppe. Ein Wochenende, an dem ich viele Menschen neu und einige besser kennen gelernt habe, liegt hinter mir.