Bodensee 12. August 2008

 

Eigentlich sollte man glauben, dass die “Umrundung” des größten österreichischen Sees sorgfältig geplant werden sollte. Aber so war es nicht. Als ich in der Früh beim Frühstück saß, wusste ich noch nicht, dass ich in einer Stunde den Lauf in Angriff nehmen würde. Wir überlegten noch, was wir mit diesem Urlaubstag anfangen sollten. Jeder hatte andere Vorstellungen, ich natürlich auch, aber ich wollte den Familienurlaub nicht zu sehr mit meinen Seenläufen durcheinander bringen. Irgendwann sagte dann Conny: „Aus jetzt, wenn du das machen willst, dann machen wir das jetzt!“ Und ich begann alles schnell zusammen zu packen.

 

Aber natürlich hatte ich im Vorfeld schon genug geplant. Wie umrundet man den Bodensee eigentlich? Wie schon erwähnt misst die Runde um den Bodensee am Bodenseeradweg 273 km. Selbst wenn ich mich auf den eigenständigen Seeteil Obersee beschränken würde, wäre eine Runde noch ca. 180 km lang. An einem Tag herumlaufen schied daher für mich natürlich aus und Etappenrennen wollte ich ja keines machen. Also betrachtete ich nur den österreichischen Teil des Bodensees. Mit 32,5 km2 wäre das immer noch der drittgrößte österreichische See (nach Neusiedler See und Attersee). Aber eigentlich lässt sich nicht genau sagen, wo die Grenze zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich liegt. Eine völkerrechtlich anerkannte Grenzziehung gibt es nicht. Eine Theorie besagt, dass der See anhand seiner jeweiligen Uferlängen aufgeteilt wird. Die Grenze sollte in der Seemitte liegen. Diese Regelung entspricht eher dem Gewohnheitsrecht. Eine andere Theorie besagt, dass nur der unmittelbare Uferbereich, bis zu einer Tiefe von 25 m im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates ist, die restliche Seenfläche wird gemeinsam verwaltet. Aber eigentlich funktioniert es auch ohne genauer Grenzziehung ganz gut, weil sich die Anrainerstaaten ihrer gemeinsamen Verantwortung für den See bewusst sind. Von ein paar Scharmützeln zwischen Fischereibooten einmal abgesehen. Aber ich schweife ab.

 

Eine Möglichkeit den österreichischen Teil zu umrunden wäre, von Lindau mit dem Schiff nach Rorschach zu fahren und dann nach Lindau zurück zu laufen. Das ergebe aber ca. eine Marathondistanz und dazu war ich im Moment nicht in der Lage. Abkürzen könnte man mit einer weiteren Schiffsverbindung von Rohrschach nach Rheineck, auch noch in der Schweiz, damit müsste ich auch noch weit über 30 km zurücklegen und ich wäre außerdem noch sehr fahrplanabhängig, das hätte ich vorher planen müssen.

 

Überlegt hatte ich mir auch den Drei-Länder-Marathon zu laufen, weil einer Seenumrundung in einem Rennen eher der Vorzug zu geben ist. Der startet auch in Lindau, geht über Bregenz nach St. Margarethen in der Schweiz und wieder zurück nach Bregenz. Dafür würde es sich schon auszahlen, extra zu trainieren. Ein Nachteil dabei ist aber, dass er einen sehr schönen Teil des österreichischen Ufers, das Rheindelta, sehr großzügig umläuft und dafür ein anderer Teil doppelt gelaufen wird. Und außerdem wäre er eben nicht jetzt und irgendwie müsste ich schon dazuschauen, wenn ich in absehbarer Zeit alle Seen schaffen wollte. Also definierte ich die Seenrunde so, von der deutschen Grenze entlang des Ufers zur schweizer Grenze, eh ganz einfach.

 

Ich packte also schnell alles zusammen: Trinkgurt, Landkartenausdruck, Handy. Conny sollte mich zur deutschen Grenze bei Lochau bringen, ich würde loslaufen, Conny inzwischen mit den Kindern Bregenz anschauen und mich in ca. zweieinhalb Stunden am Grenzübergang Rheineck-Gaißau abholen. Bei der Anfahrt nach Lochau erwischten wir irgendwie den Pfändertunnel nicht, wir gerieten in Bregenz in einen Stau und dann begann es auch noch leicht zu regnen. Irgendwie zweifelte ich, ob das jetzt wirklich eine gute Idee war.

 

Aber Regen und Stau gingen vorüber. Gleich nach der deutschen Grenze bogen wir in eine Wohnsiedlung ab. Ich schnallte mir alles um, fragte zwei Fußball spielende Kinder nach dem schnellsten Weg zum Seeufer, vertraute dann doch lieber meinem Orientierungssinn, Küsschen-Küsschen mit Conny und lief los. Auf der Brücke über die Leiblach, die die Grenze zu Österreich markierte, drückte ich eine Zwischenzeit ab, ich wollte ja die genaue Zeit für das österreichische Ufers wissen. Danach bog ein Weg ab, den probierte ich und gleich sah ich die Bahn und die dahinter liegende Seepromenade. Der Anfang war geschafft.

 

Vor dem Einbiegen in die Promenade machte ich noch das, was man vor jedem Lauf macht, ich aber nicht machen konnte, weil ich in einer Wohngegend gestartet und vorher eine halbe Stunde im Auto gefahren war. Danach lief es sich viel leichter. Ich genoss jetzt so richtig den Lauf, rechts der See, links der Stau. Conny konnte ich im Stau nirgends entdecken (ja auch in die andere Richtung gab es Stau). Vorbei ging es an der ehemaligen Kaserne Lochau, die gerade in ein Wohn- und Hotelprojekt umgebaut wurde und an einigen Strandbädern, sogar ein paar Leute waren jetzt wieder in der Sonne zu sehen.

 

Bregenzer Festspiele

Nach ca. 5 km war ich in Bregenz und lief an der Seebühne vorbei. Erst vor ein paar Wochen war ich noch dienstlich in Bregenz inklusive (privat finanzierter) Tosca-Aufführung und jetzt schon wieder, mehr als 500 km von zu Hause weg, beim Sammeln von Seemeilen. Wieder hielt ich nach Conny, Felix und Paula Ausschau, die waren aber, wie ich später erfuhr, schon irgendwo auf den Tribünen und bestaunten das sehr bekannt gewordene Auge des Bühnenbildes.

 

Nun ging es das erste Mal in eine einigermaßen natürliche Uferlandschaft, vorbei am Kloster Mehrerau. Ich erinnerte mich, dass ich hier vor Jahren bei einem Bregenzbesuch die Regenpause genutzt hatte, um mit Felix im Kinderwagen ein bisschen frische Luft zu schnappen, bevor es zurück ins Hotel ging, zu einer wilden Wasserschlacht in der Badewanne. Bald kam ich zu einem Badeplatz, den ich von meinem ersten Bregenzbesuch kannte, damals war ich mit Conny mit klapprigen Mieträdern einen Teil meiner heutigen Laufstrecke abgefahren. An ein Baden bei diesem schönen Strand war nicht zu denken gewesen und auch heute würde es sich angesichts des wieder schlechter werdenden Wetters nach dem Lauf wohl nicht mehr ausgehen.

 

Nun musste ich fast 2 km landeinwärts laufen, um eine Brücke über die Bregenzer Ache zu erwischen. Auf der anderen Seite der Ache ging es gleich wieder zurück. Das war der Nachteil, wenn man versucht, einigermaßen ufernah zu laufen, für einen halben Kilometer Ufer lief ich 4 km. Um Hard herum musste ich mehrmals stehen bleiben und meine Landkarten bemühen, um den richtigen Weg zu finden. Verlaufen und mir ein paar zusätzliche Kilometer aufhalsen wollte ich keinesfalls. Die Wege waren an sich auch ganz angeschrieben, aber es gab immer zwei Markierungen, einen für einen Wanderweg, mit mehreren Abstechern und einen für einen Radweg und da musste ich eben den besten finden.

 

Nun trat ein weiteres Problem auf. Plötzlich fielen mir andauernd meine Trinkflascherln aus dem Gurt, leere wie volle. Kaum hatte ich die gefallene Flasche wieder aufgesammelt und zurück gesteckt, fiel schon die nächste. Ich überlegte mir schon, den Gurt irgendwo hin zu fetzen, um ungestört weiter laufen zu können, aber irgendwann beruhigte sich das Ganze wieder.

 

Endlich hatte ich den Weg durch den Hafen gefunden. Die Parks und das viele Wasser machten Hard sicher zu einer schönen Wohngegend, die Orientierung war aber nicht ganz leicht. Nun aß ich meine ersten Müslischnitten, nach geschätzten 15 km wurde es schon etwas mühsam. Nach Hard kam ich an einen hohen Damm am Rhein und musste wieder landeinwärts zur Brücke laufen. Da es am Fuß des Dammes etwas fad war, stieg ich eine steile Treppe auf die Dammkrone hinauf. Oben fand ich aber keine Promenade, sondern nur Eisenbahngleise, also ging es wieder hinunter. Endlich auf der Brücke kam der letzte Teil dran, durch das Rheindelta. Eigentlich freute ich mich gerade auf dieses wahrscheinlich schönste Stück, aber ich konnte es nicht mehr so richtig genießen. Das Wetter zog immer mehr ein, es begann zu nieseln und Wind kam auf. Ich überlegte schon, auf direktem Weg zur Schweizer Grenze abzubiegen, raffte mich aber dann doch auf noch einmal aus der Zivilisation raus zu laufen.

 

Gleich nach der Brücke stand ein Schild „Rohrschach 21 km“. Irgendwie war es doch eine gute Wahl, nicht die Fährvariante gewählt zu haben, weil auf einen Halbmarathon hatte ich jetzt wirklich keine Lust. Bald kam ich auf einen Damm, der die Rheinau gegen den Bodensee absichern sollte und kämpfte weiter gegen Wind und Nieseln an. Mehrmals musste ich mich anhand meiner Karte orientieren, um nur ja nicht irrtümlich eine Landzunge hinauszulaufe. Die waren da nämlich ziemlich lang und würden etliche Kilometer Umweg bedeuten. Einige Radfahrer waren noch unterwegs, offensichtlich echte Bodenseeumrunder. Sie waren kaum schneller als ich, blieben auch immer wieder stehen, um die Karte nach Unterstands- oder Einkehrmöglichkeiten abzusuchen. Etwas schief wurde ich schon angeschaut. Welcher Verrückte läuft bei dem Wetter fort und nicht schnellstmöglich nach Hause.

 

Beim Rohrspitz gab es ein Wirtshaus. Das kannte ich noch von meinem Radausflug, hier kehrten wir damals um. Die Radfahrer, die mich begleitet hatten, kehrten jetzt ein. Ich lief weiter. Ich sah etliche Schilder die Abkürzungen nach Gaißau anpriesen. Ich lief aber meine geplante Strecke weiter. Jetzt war es auch schon wurscht. Als ich endlich an den Alten Rhein kam, wollte ich Conny anrufen. Durch die vielen Orientierungspausen war es nun schon etwas später als geplant und ich wollte den Treffpunkt möglichst genau ausmachen, damit niemand warten musste. Leider erreiche ich sie nicht. Na super, der arme Stefan wird an der Grenze erfrieren. Oder war etwas passiert? Bald darauf erwischte ich Conny doch, sie war ohnehin schon auf dem Weg nach Gaißau. Ich sah auch einige unbeantwortete Anrufe am Handy, sie hatte es auch schon öfters probiert, offensichtlich war ich in einem Funkloch.

 

Der Alte Rhein war im Vergleich zum „richtigen“ Rhein eine liebliche Wasserstraße. Es ging jetzt wieder zurück in die Zivilisation. Vom schweizer Ufer hörte ich schon die Autobahn. Jetzt sollte doch bitte irgendwann dieser Grenzübergang kommen! Endlich sah ich ein „Wirtshaus zur Alten Zollstation“ oder so ähnlich. Geschafft! Dann sah ich auch Conny und die Kinder, sie waren gerade angekommen, also perfekt. Nachdem ich mich hier an einer EU-Außengrenze befand, gab es Grenzkontrollen und ich konnte nicht so einfach über den Grenzübergang in die Schweiz laufen. Also lief ich so weit, bis die Zollbeamtin schon blöd schaute, aber noch bevor sie zur Waffe griff und beendete hier meinen Lauf. Conny besorgte mir netter Weise noch was zu trinken aus dem nahen Supermarkt, denn ich war jetzt schon ziemlich dehydriert. Nach einem Liter im Sitzen ging es mir wieder besser.

 

Dann bemerkte ich, dass neben dem Straßenübergang noch eine kleine unbewachte Brücke für Radfahrer und Fußgänger über den Alten Rhein führte. Also ging ich noch über die Brücke in die Schweiz und war somit an diesem Tag tatsächlich zu Fuß von Deutschland über Österreich in die Schweiz gelangt.

 

Bodensee

Die Auswertung zu Hause ergab, dass es statt der zuvor grob geschätzten 25 - 26 km dann doch mehr als 28 km waren. Ich durfte also zu Recht müde sein. Außerdem hatte ich für Pinkel-, Karten- und Flascherlverstaupausen 10 min länger als die reine Laufzeit gebraucht. Dass war dann auch der Anlass, in meine Laufliste eine Netto- und Bruttozeitspalte einzubauen.