Millstätter See 23. Juni 2010

 

Der erste Test, ob ich den gestrigen Lauf gut überstanden hatte, kam beim Treppe hinunter gehen zum Frühstück. Nach einem Marathon ist das ja immer das Blödeste. Es ging aber gut genug, um den freien Tag für weitere Umrundungen zu nützen. Ossiacher See und Millstätter See wären noch zwei große Runden. Der Ossiacher See wäre auch im Rahmen des Nachthalbmarathons zu umrunden, also entschied ich mich mal für den Millstätter See. Ich packte wieder jede Menge Klumpert ein und fuhr nach Seeboden. Ich fühlte mich wie ein richtiger Glückspilz. Herrliches Wetter und nichts anderes zu tun, als zu laufen.

 

Ich hatte das Navi auf den Süduferweg eingestellt. Erstens wollte ich das schwierigere Südufer zuerst in Angriff nehmen, zweitens hoffte ich dort am Ortsrand nach der Seenrunde ungestört in den See springen zu können. Leider ging es hier bis ich mein Auto abstellen konnte gleich einmal steil bergauf, das hieß, am Ende der Runde würde ich also noch eine große Steigung haben.

 

Gleich nach der letzten Parkmöglichkeit ging die Straße einerseits in eine Radroute, die weiter steil bergauf ging und andererseits in einen seenahen Wanderweg über. Ich entschied mich für den Wanderweg. Nach ein paar hundert Metern war der Weg aber gleich einmal durch ein Privatgrundstück unterbrochen, ich musste mit etlichen Höhenmetern hinter dem Haus vorbei laufen. Danach begann ein wunderschöner Weg am Seeufer entlang. Tempo konnte ich keines aufnehmen, über die vielen Wurzeln und Steine konnte ich nur ganz langsam laufen, bzw. musste ich eigentlich mehr hüpfen als laufen. Das ging natürlich nach meinem vortäglichen Abenteuer nicht so ganz locker. Das Hüpfen übertrug sich außerdem gleich wieder auf meinen Trinkgurt, die Flascherln hüpften wieder munter aus dem Gurt und ich musste sie wieder einsammeln.

Millstätter See

 

Da es, wie gesagt ein wunderschöner Wanderweg war, waren natürlich auch viele Wanderer unterwegs, bei denen ich mich vorbei drängen musste. Einmal bekam ich ein scherzhaftes, in bundesdeutscher Diktion vorgetragenes „junger Mann, nehmen sie sich doch eine Hupe mit“ zu hören. „Junger Mann“ hatte schon langer keiner mehr zu mir gesagt! Jedenfalls, hob ich die Hand, betätigte einen imaginären Blasbalg und lies ein „mäg, mäg“ hören.

 

Nach ca. 20 Minuten mündete der Wanderweg auf eine Forststraße und damit auch wieder auf die Radroute am Südufer. Nun war es vom Untergrund leichter zu laufen, dafür ging es kräftig bergauf. Bald führte der Weg hoch über dem See durch den Wald. An der vis-à-vis Seite von Millstatt erreichte ich die idyllisch gelegene Schlossvilla. Hier ging es wieder steil bergab. Schiebende Radfahrer kamen mir entgegen. Die Schlosszufahrt wurde gerade neu asphaltiert. Ein fragender Blick zu den Arbeitern ergab die Erlaubnis weiter zu laufen. Ich versank zwar nicht im Asphalt, die Schuhe klebten aber schon ein bisschen.

 

Gleich nach dem Schloss stieg es wieder bergauf an, aber nicht so steil, dass ich es nicht laufen hätte können. Danach ging es wellig auf einer schönen Forststraße weiter. Nach der nächsten Biegung hoffte ich schon das östliche Ende des Sees zu sehen. Ich kam aber nur aus dem Wald hinaus in die Ansiedlung Großegg. Es schien mir, als ob die paar Häuser hier nur durch das gerade einlaufende Schiff der Millstätter See Schifffahrt zu erreichen wären (was nicht stimmt). Die Ruhe hier war jedenfalls atemberaubend. Nur das Ende des Sees konnte ich immer noch nicht sehen. Mittlerweile wurde mir bewusst, dass der Millstätter See doch der größere der beiden zur Auswahl stehenden Seen gewesen war. Aber alles vor dem Start genau abmessen wollte ich nicht, sonst käme ich ja nie zum Laufen. Diese Seenrunde würde also eher drei als zwei Stunden dauern.

 

Irgendwann war der zwar schöne aber doch mühsame weil ständig auf und ab gehende Waldweg auch vorbei und ich lief in Döbriach ein. Ich versuchte möglichst nahe am See auf Strandpromenaden und abseits der Straße zu laufen und musste dazu mehrmals auf die Karte sehen. Da ich schon fast eineinhalb Stunden unterwegs war, hatte ich mir wieder eine Versorgungsstation zu suchen und steuerte ein Strandbad an. Es war zwar schon relativ warm, aber so zeitig, dass noch nicht viele Leute im Bad waren. Ich hoffte, dass mir auch ohne Eintritt zu zahlen geholfen werden würde. Auf die Frage, ob ich hier Wasser tanken könnte wurde mir zuerst ein Wasserhahn gezeigt, der mich eher an eine Hundetränke erinnerte. Erst als ich auch nach einem WC fragte, bekam ich die Infrastruktur die ich wollte.

 

Danach lief ich die Seepromenade durch einen Campinglatz weiter und kam bei einem Wirtshaus ans Nordufer. Zwei vor der Tür stehende Bedienstete halfen mir gleich weiter: „Do konst nix weida, do muast auf’d Stoßn aufi.“ Um mir einen Umweg zu sparen, kletterte ich einen steilen Pfad, diesmal nur gehend, zur Norduferstraße hinauf und lief dann immer am Radweg weiter nach Seeboden zurück. Kaum auf der Straße merkte ich auch, warum es da vorhin „nix weida“ gegangen war. An einem Parkplatz wurden Klettertouren angeboten, die Felswand ging von dort senkrecht bis zum See hinunter.

 

An ein paar Stellen konnte ich ein paar schöne Anwesen sehen, die am Hang unter der Straße sehr schön über dem See lagen. Bei einem fiel mir auf, dass über der Eingangstür, mit Fließen der Name des Bewohners eingelegt war, aber nicht nur der Name, sondern auch der Berufstitel Obermedizinalrat „OMR“. Man kann es auch übertreiben. In Dellach hatte ich wieder einen schönen Blick auf den See und versuchte ein Foto mit dem Handy zu machen. Bei der letzten Aufnahme hatte ich das Fotoprogramm nicht ordentlich abgemeldet und die Kamerafunktion war dadurch abgestürzt. Also hieß es Handy ausschalten und wieder hochfahren. Das dauerte mir zu lange, ich steckte es wieder ein und lief weiter. Da derart die Tastensperre nicht aktiviert war, begann das Handy ein Eigenleben und rief meinen Arbeitskollegen an. Der kam so ungewollt zu einer Liveübertragung aus meiner Bauchtasche. Nun schluckte ich das Gel, das ich mir mitgenommen hatte. Ich wollte aber nicht mehr im Laufen „essen“. Ich blieb stehen, schaute auf den See und zuzelte am Gelbeutel.

 

Schön langsam wurde es zäh. Mir war klar, dass ich nicht ungeduldig werden durfte. Einfach nur weiter laufen und geduldig warten, das Ende des Sees würde schon kommen. Dabei hatte ich es jetzt ohnedies leichter. Früher war der See nämlich noch größer und reichte im Osten bis Radenthein. In einer Burg am Hochgosch am Südufer des Sees lebte im 8. Jahrhundert der damals noch nicht heilige Domitian. Dieser hatte ein schlimmes Kind, das unbedingt bei schlechtem Wetter auf den See hinaus fahren wollte. Als Domitian am nächsten Morgen das leere Boot fand, befahl er den Bauern, bei Seeboden einen Hügel abzugraben, um den See in die Lieser abzulassen und gelobte an der Stelle, wo er den Körper seines Sohnes finden würde, eine Kirche zu bauen, die heutige Stiftskirche in Millstatt. Nebenbei ließ er dann noch an die tausend heidnische Statuen der Umgebung in den See werfen, womit der See zu seinem Namen kam. Aber ich schweife ab. Der See ist jetzt aber immer noch der tiefste und wasserreichste Kärntens.

 

Bald kam ich nun nach Millstatt. Ich hielt nach der Minigolfanlage Ausschau, auf der wir vor ein paar Jahren mit den Kindern auf der Durchreise alle Spielmöglichkeiten durchprobiert hatten. Bei einem Springbrunnen wusch ich mir das Gesicht und die Gelreste von den Fingern. Es war immer noch ein schönes Stück. Nur geduldig sein und weiter laufen und warten, das Ende würde schon von allein kommen.

 

Endlich kam Seeboden ins Blickfeld. Laufen war jetzt nicht mehr leicht. Ursprünglich hatte ich ja noch die krause Idee, am Nachmittag, weil ja so viel Zeit ist, auch noch den Ossiacher See zu umrunden, um so vielleicht elegant auf an die 100 km in zwei Tagen zu kommen. Als ich dann aber ein bisschen Nasenbluten bemerkte (oder einfach auch nur eine Gelse erlegt hatte?), war jeder Zweifel beseitigt, dass ich am Ende dieser Seenrunde keine läuferischen Experimente mehr planen müsste. Jetzt kamen mir nur noch blöde Gedanken: „Warum liegt Seeboden eigentlich nicht am Bodensee ...?“. Nur geduldig weiter laufen.

 

Nach der Ortseinfahrt in Seeboden konnte ich wieder von der Hauptstraße runter und nahe am See durch den Ort laufen. In einer Kurve kam mir ein Radfahrer entgegen, das plötzliche Ausweichmanöver war überhaupt nicht mehr locker, ich war schon sehr hölzern. Ich fing an, mich auf das Schlussstück zu konzentrieren, das würde ja noch ziemlich bergauf gehen. Zu meiner Überraschung ging das dann aber eigentlich problemlos und ich lief geduldig auch noch dieses Stück hinauf.

 

Millstätter See

Nach 2 h 49 (netto) hatte ich die gut 27 km hinter mich gebracht. Allerdings streute ich auch unterwegs für mehr als 20 min Pausen ein. Jedenfalls schaffte ich es, meine Seenrunde noch vor der Startzeit der gestrigen Wörther-See-Runde zu beenden. Damit hatte ich meinen 24-Stunden-Laufrekord auf rd. 68 km festgelegt. Mit 280 Höhenmetern war es auch meine unebenste Seenrunde bisher. Jetzt wollte ich mich noch abkühlen, bevor ich nach Klagenfurt zurückfuhr. Über eine Privatstraße konnte ich zu einem Bootshaus der Wasserrettung absteigen und dort vermutlich nicht ganz legal ins Wasser steigen. Meine Schwimmversuche fielen aber nur sehr bescheiden aus, das Wasser war doch sehr kalt, ich ziemlich überhitzt und traute mich daher nicht wirklich weit vom Ufer weg. Stolz über meinen neuen 24-Stunden-Rekord stieg ich wieder zum Auto hoch.

 

Jetzt konnte ich wie gesagt keinen großen See mehr laufen. Den Nachmittag sinnlos verplempern wollte ich aber auch nicht. Wenn schon kein großer See, ein kleiner See, um mir später eine extra Reise zu ersparen, würde schon noch gehen.