Wörther See 22. Juni 2010

 

Inzwischen war wieder über ein Jahr vergangen. Geplant waren noch Seenläufe an einem verlängerten Wochenende am Ossiacher See im Sommer vorigen Jahres. Leider kränkelte ich da ein bisschen herum, reduzierte meine Laufplanungen zu immer kleineren Seen und ließ schließlich alles bleiben. Dieses Wochenende war auch der Grund, warum ich für die nächste Zeit Schwierigkeiten sah, an Kärntner Seen zu kommen. Wir wohnten in einer kleinen Familienpension und der Zimmerwirt plauderte immer wieder mit seinen Gästen, eben auch über Politik: „Auf Wiener Friedhöfen san ja nur mehr –vic und –dic – glaubts ihr mochts da Strache?“ (Anmerkung: - gewinnt die Wiener Landtagswahlen?) „Hoffentlich nicht!“ Pause. „Gö, a so a Lausbua, hot sie gor mit an Haider verglichen.“ Conny beschloss daraufhin Kärntner Urlaube hinkünftig zu meiden.

 

Nun hatte ich die Möglichkeit, an einer zweitägigen Sitzung in Klagenfurt teilzunehmen und ich plante gleich ein bisschen was anzuhängen, um laufen zu können. Klagenfurt heißt ja auch seit 2008 offiziell „Klagenfurt am Wörther See“, was lag also näher als den Wörther See zu umrunden. Bei der Planung fiel mir ein, dass ich seit Jugendtagen auch irgendwann einmal beim Bachmann Literaturwettbewerb zuhören wollte, etwas was ich auch vermutlich allein machen werden müsste. Also schaute ich nach, wann der eigentlich ist und stellte erfreut fest, dass er am Donnerstag derselben Woche begann. Somit waren die Eckpunkte meiner Dienst-, Lauf- und Literaturreise abgesteckt.

 

Am Montag gab es nach dem ersten Teil der Sitzung eine Abendveranstaltung. Wir fuhren mit einem kleinem Schiff, dem Lendwurm, durch den Lendkanal zum Schloss Maria Loretto zum Abendessen und ich konnte zum ersten Mal für diese Woche den See sehen. Der Lendkanal wurde 1527 gebaut und diente damals der Versorgung der Stadt auf dem Seeweg, weil dies auf dem Landweg oft nicht möglich war, Klagenfurt lag damals in einem Sumpfgebiet. Damals, naja, siehe Einleitung. Aber ich schweife ab. Der Abend endete recht ausgelassen in einer Bar, wo wir zu Kärntner Liedgut („Griechischer Wein“) Sirtaki tanzten. Am Dienstag, beim Frühstück, erzählte mir dann ein Kollege, dass er in der Früh schon am Lendkanal laufen war. Sollte ich ihm jetzt sagen, dass ich noch um den ganzen See wollte? Zu Mittag war die Sitzung zu Ende und ich konnte endlich laufen gehen.

 

Möglichkeiten um Seen zu laufen hatte ich in Kärnten ja genug. Ich wollte es letztlich von meiner Verfassung und vom Wetter abhängig machen, welchen See ich wählen würde. Zumindest ein großer sollte es aber schon werden, obwohl ich nach meinem Frühjahrsmarathon in Linz nicht mehr wirklich trainiert hatte. Ich war neugierig, wie schnell man seine Form in zehn Wochen wieder verlieren kann. Einige Läufe in letzter Zeit, bei denen der Puls irgendwo im Nirwana lag, ließen nichts Positives vermuten. Aber wenn schon den Wörther See, dann gleich zu Beginn meiner „Kärntner Lauftage“, weil müde wegrennen, wenn ich quasi einen Marathon aus dem Stegreif laufen wollte, würde nicht gehen. Der freie Nachmittag war auch zeitlich lang genug für diese Runde, das Wetter war nach den vergangenen kalten regnerischen Tagen auch besser geworden, es sprach also nichts dagegen, wirklich den Wörther See in Angriff zu nehmen, auch wenn ich ein bisschen ein mulmiges Gefühl hatte.

 

Ich verließ mit einer prall gefüllten Tasche Laufutensilien das Hotel, um an den See zu fahren. Natürlich hätte ich auch gleich vom Hotel weglaufen können, aber ich wollte nicht in ein paar Stunden völlig aufgelöst wieder zurück in die Lobby kriechen. Und natürlich konnte ich mir so auch rund acht Kilometer sparen. Das wäre sonst mein erster Ultralauf gewesen. Ursprünglich dachte ich sowieso, die Wörther-See–Runde wird ein Ultra. Bei der Veranstaltung „Wörthersee autofrei“, auch eine Möglichkeit, um angenehm um den See zu kommen, wird die Streckenlänge mit 44 km angegeben. Bei „Kärnten läuft“ ist es von Velden bis Klagenfurt ein Halbmarathon. Mit 21 km ein- oder auslaufen am Gegenufer wäre es zumindest eine Marathondistanz. Ich verstehe sowieso nicht, warum bei „Kärnten läuft“ kein Marathon angeboten wird, bei diesen Voraussetzungen. Zu beiden Strecken gab es jedoch einige Abkürzungen, sodass es je nach Wegfindung „nur“ ca. 39 - 40 km werden würden.

 

Den Parkplatz am Strandbad fand ich nicht gleich und fuhr daher ein Stück die Straße Richtung Wörther See Süd. Bei der Brücke über die Glanfurt war ein kleiner Parkplatz und der Anfangspunkt meiner Runde war gefunden. Die Glanfurt ist für den riesigen Wörther See eigentlich ein sehr kleiner unspektakulärer Abfluss. Am Abfluss des Sees zu starten und dort hoffentlich wieder zurückzukehren war jedenfalls irgendwie schlüssig. Gleich sah ich auch den Radweg, der aus dem kleinen Auwald kam und hier in die Straße einmündete. In der Vorbereitung hatte ich herausgefunden, dass um den See der Radweg R4 führt, was mich hoffen ließ, nicht ständig auf einer stark befahrenen Straße laufen zu müssen. Gleich vorweg, diese Hoffnung bewahrheitete sich, ich konnte immer entweder am Gehsteig oder einem von der Straße zumindest baulich getrennten Radweg laufen.

 

Wörther See

Gleich zu Beginn ging es durch ein Waldstück, es war fast ein bisschen kühl und sehr feucht. Den See konnte ich noch nicht sehen. Die Gelsenplage hielt sich in Grenzen, ich hatte für mich jedoch schon ausgemacht auf die Gelsen nicht zu achten, weil 40 km schuhplattelnd zu laufen, wollte ich mir nicht antun. Da das Ufer relativ steil war, ging die Uferstraße immer wieder etwas bergauf, bergab, aber läuferisch soweit noch problemlos zu bewältigen. In Maiernigg sah ich das erste Mal den See und machte gleich ein Foto. Inzwischen hatte ich zwar ein besseres Fotohandy, aber die komplizierte Bedienung und die Qualität der Fotos hätten es doch besser angeraten, einen Fotoapparat mit zu nehmen.

 

Einige Läufer kamen mir entgegen, es waren aber wesentlich mehr Radfahrer unterwegs. Die Radwanderer älteren Semesters machten immer wieder kurze Pausen und waren auf der hügeligen Strecke kaum schneller unterwegs als ich. Das Seeufer war so gut wie nie zugänglich, manche Anwesen bewiesen, dass der Wörther See einen ziemlich hohen Promifaktor hat. In Sekirn verlief die Straße ein kurzes Stück in einem Tunnel, wodurch das darüber liegende Hotel einen ungestörten Seezugang hatte. Da der Tunnel für Fußgänger und Radfahrer gesperrt war, musste ich als Läufer gewissermaßen durch die Hotelanlage.

 

In Reifnitz kam die Straße erstmals ganz nahe an den See. Ich musste natürlich an das alljährlich hier stattfindende GTI-Treffen denken. Zu Ehren dieser ziemlich sinnlosen, dafür vermutlich aber umso mehr Geld bringenden Veranstaltung war im Ortszentrum ein lebensgroßer steinerner GTI aufgestellt. Dem Moloch wird Ehre erwiesen.

 

Hinter der nächsten Biegung konnte ich schon Maria Wörth sehen, womit in etwa die Hälfte des Weges nach Velden hinter mir liegen würde. Ich erinnerte mich, dass ich vor ein paar Jahren, als ich das erste Mal in Maria Wörth war, überrascht war, dass trotz atemberaubender Lage auf einer Halbinsel der Ort relativ verfallen auf mich wirkte. Ich blieb jetzt auf der Straße und musste für eines der wenigen Male die Straßenseite wechseln um am Gehsteig bleiben zu können. Jetzt machten sich wieder meine Scheuerstellen auf den Brustwarzen schmerzlich bemerkbar. Bei meinem letzten Lauf waren sie wegen des Leiberls, wegen des Wetters oder weshalb auch immer bereits nach einer halben Stunde wund geworden und bis ich zu Hause war, hatte ich zwei rote Kreise auf der Brust. Mit viel Wundsalbe war ich zwar wieder schmerzfrei geworden, doch musste ich sehr aufpassen. Ich hatte mich schon vorher entsprechend mit Vaseline eingeschmiert, aber sicherheitshalber auch ein kleines Döschen mitgenommen. Jetzt patzte ich noch eine ausgiebige Menge drauf und mit einem weiteren Mal nachdosieren kam ich zumindest diesbezüglich schmerzfrei um den See.

 

Kurz nach Maria Wörth tauchte die Kapuzinerinsel auf. Das gegenüberliegende Ufer bei Pörtschach schien sehr nah und doch noch so fern. Nun machte ich mir auch Gedanken über meine Verpflegung. Für zumindest vier Stunden laufen brächte ich normalerweise acht Flascherln in meinem Trinkgurt, also die volle Besetzung. Dieses Gewicht wollte ich aber nicht mitschleppen, also nahm ich nur vier Flascherln und plante in Velden irgendwo nachzutanken. Je nach Befindlichkeit könnte ich auch eine kleine Pause machen, um was zu essen. Falls es mir besser ginge könnte ich auch im Laufen mit zwei Gels das Auslangen finden. So wie es jetzt aussah, käme ich mit meinem Vorrat zumindest durch Velden und brauchte damit nicht stinkend und tropfend in einem Haubenrestaurant um Wasser betteln.

 

Am Cap Wörth konnte ich von der Straße abbiegen und entlang der Strandpromenade laufen. Hier waren jetzt viele Urlauber unterwegs und es wurde teilweise etwas eng. Mir fiel ein, wie wir hier vor etlichen Jahren im ersten Urlaub mit Kindern einen Ausflug machten. Zur Feier meines Geburtstags wollten wir in einem schönen Restaurant am See essen gehen, die Kinder zogen es aber vor sich unter den Tisch zu legen und zu schreien. Aus dem schönen Essen wurde dann eine Pizza aus dem Pappkarton im Hotelzimmer.

 

Vorbei am Schloss am Wörther See mit modernem Zubau (nie war ich so froh es zu sehen) ging es von der Promenade wieder hinauf zur Straße. Ich lief an ein paar älteren Bundesdeutschen vorbei, die sich gegenseitig warnten: „Vorsicht ein Jogger!“ Jogger, pah, ich bin Seenläufer! Die Straße war nun schnurgerade, es wurde ein bisschen trostlos und eng zwischen Autobahn, Bahn, Straße und Seeufer (noch immer verbaut). Ich befürchtete schon die letzte Wassertankstelle verpasst zu haben.

 

Nach ein paar Kilometern sah ich eine Fahne an der Straße. Hier war ein Schaukraftwerk mit angeschlossenem Kaffeehaus. Das bot für mich die ideale Infrastruktur mit abseits gelegener frei zugänglicher WC-Anlage. Ich nutzte das WC, wusch mir die Salzkrusten aus dem Gesicht und die klebrigen Gelreste von den Fingern, füllte meine Flascherln nach, trank auf Vorrat und ruinierte nebenbei noch den Papierhandtuchspender. Frisch gestärkt und ohne Gedanken an eine längere Pause zu verschwenden lief ich weiter. Jetzt nervten aber wieder die Flascherln, die aus meinem Gurt hüpften. Conny hat die Laschen noch vor meiner Abreise enger genäht und eine Zeit lang hielten sie auch ganz gut. Nun konnte ich aber erst ungestört weiter laufen, als ich ein besonders lästiges Flascherl von dem Trinkgurt in das Bauchtascherl, in dem ich all meine anderen Sachen mitführte, beförderte.

 

Ich fragte mich im Weiterlaufen immer, was für ein Kraftwerk das hier wohl war. Mittlerweile weiß ich, dass es sich um ein Speicherkraftwerk handelt, das Wasser aus dem Forstsee über Velden in den Wörther See ablässt. Ich folgte jetzt nicht nur den Radwegschildern sondern auch einer ausgeschilderten Halbmarathon-Trainingsstrecke. Wenn diese Strecke dem offiziellen „Kärnten läuft“ Halbmarathon entsprach, müsste ich aufpassen, nicht unnötigerweise die dort eingeplante Extraschlaufe bei Krumpendorf mitzulaufen, dürfte mich also nicht blind auf die Schilder verlassen.

 

Kurze Zeit später wechselte ich auf die andere Bahnseite und lief in Saag an einer Industrieruine vorbei. Nun sah ich, dass weiter unten fast direkt am Wasser ein wesentlich schönerer Weg verlief. Bei der nächsten Gelegenheit nützte ich eine Unterführung unter der Bahn und wechselte auf diese Uferstraße. Die Freude währte aber nur kurz, denn bei einem Hotel in Töschling konnte ich nicht mehr weiter, ich musste ein kurzes Stück zurück und bei der Unterführung an der Bahnstation wieder steil hinauf auf die Straße laufen.

 

Kurz vor Pörtschach lief ich wieder über einen Bahnübergang und in den Ort hinein. Die Orte des Nordufers kannte ich bisher noch nicht, Pörtschach schien mir auch ein sehr netter Urlaubsort zu sein. Im Zentrum ging es auf einer Nebenstraße parallel zur Hauptstraße durch den Ort. Jetzt war ich schon auf dem zuvor noch allzu fern scheinenden vis-à-vis Ufer von Maria Wörth, auch wenn ich vom See im Moment nichts sah. Nach Pörtschach ging es wieder einige Zeit an der Hauptstraße entlang, ehe es eine mit Seestraße bezeichnete Abzweigung gab, die mir sehr sympathisch schien. Hier war es nun sehr ruhig, die Sonne kam herraus und es gab auch einige nette Blicke auf den See. Zweimal musste ich wieder die Bahn kreuzen und auch ein paar Mal auf die Karte schauen, um den Weg nicht zu verlieren.

 

Nun war ich ca. drei Stunden unterwegs, also die Zeit, die üblicherweise meine längsten Longjogs dauern, wenn ich gut in Schuss bin. Ich war jetzt schon etwas müde. Die Zuversicht, die Seenrunde zu schaffen, brachte mir aber weitere Energie. Ich nahm jetzt mein zweites Gel und schluckte es gemütlich im Gehen runter, soviel Zeit musste sein. Bald kam ich nach Krumpendorf und hatte mich wieder durch Nebenstraßen zu suchen. Einmal lief ich einen besonders verlockenden Weg ans Ufer, musste aber nach ein paar Bäumen wieder zurück zur Straße. Doch bescherte mir dieser Umweg einen sehr schönen Blick auf die Ostbucht des Wörther Sees bei Klagenfurt. Auch eine Mutter sagte hier zu ihrem kleinen Kind: „Schau wie schön das da ist!“ Recht hatte sie.

 

Entlang der Bahn und vorbei an der mir bis dahin unbekannten Schrottenburg ging es wieder hinein nach Klagenfurt. Von weitem konnte ich schon die Zeltstadt im Strandbad sehen, die offensichtlich für den kommenden Ironman aufgebaut war. Vorbei an der kleinen Seebühne und der sehr chillig ausschauenden „sunset bar“ kam ich wieder zum Lendkanal. Nur ja jetzt rechtzeitig das Ufer wechseln, um nicht in einer Sackgasse zu enden. Nachdem ich eine Brücke überquerte, lief ich möglichst lange Richtung See. Ein paar Schritte musste ich zurück, weil ich vor einem Tor eines abgezäunten Badestrandes stand. Über einen eher verschlungenen Waldweg kam ich zurück zu den Weg, der mich zu meinem Ausgangspunkt bringen sollte. Jetzt wusste ich, dass ich es geschafft hatte, trotz müder Beine versuchte ich noch einen Schlusssprint und zog ihn durch, obwohl das Ende der Runde nicht und nicht kommen wollte. Nach rund 3 h 50 netto und knapp über vier Stunden brutto war ich wieder zurück und glücklich.

 

Nachdem ich fast einen Liter getrunken, mich abgetrocknet sowie mir eine Jacke übergezogen hatte und mir sicher war, dass ich wieder genug Kraft in den Beinen hatte um zumindest das Bremspedal treten zu können, fuhr ich zurück zum Hotel. Nach einer längeren Dusche suchte ich das angeblich beste Bierlokal der Stadt „Zur Pumpe“ um ausgiebig zu essen. Naja, das bestes Bierlokal in meinem Sinn war es vielleicht nicht, aber urig schon. Danach sah ich mir am Neuen Platz beim Public Viewing die erste Halbzeit des gerade laufenden FIFA WM Spiels an. Die zweite Halbzeit erlebte ich nur noch im Bett und danach schlief ich sehr bald sehr müde ein.

Wörther See